Vorhersage des Krebsrisikos mit digitalen Gesundheitsdaten

Mai, 2024

Jeden Tag hinterlassen wir Spuren unseres Lebens in digitalen Systemen. Von der Online-Suche und der Standortverfolgung bis hin zu Krankenakten und Versicherungsansprüchen werden riesige Mengen an persönlichen Daten gesammelt und gespeichert. Die Digitalisierung des täglichen Lebens birgt neben Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes auch neue Möglichkeiten für die medizinische Forschung. Wissenschaftler zapfen jetzt landesweite Datenbanken mit elektronischen Gesundheitsdaten an, um Erkenntnisse zu gewinnen, die früher unmöglich waren. Ein vielversprechender Bereich ist die Vorhersage des Krebsrisikos, was zu einer besseren Früherkennung und gezielten Vorsorge beitragen könnte. 
 
Krebs ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Während die Sterblichkeitsrate bei einigen häufigen Krebsarten wie Brust- und Darmkrebs durch Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennung gesenkt werden konnte, bleiben viele andere nach wie vor unbemerkt, bis sie ein fortgeschrittenes Stadium erreicht haben. Neue Flüssigbiopsie-Tests, mit denen sich durch eine einfache Blutentnahme mehrere Krebsarten nachweisen lassen, versprechen ein bequemeres Screening-Konzept. Allerdings müssen auch diese Tests zur Früherkennung mehrerer Krebsarten sorgfältig durchgeführt werden, um einen maximalen Nutzen zu erzielen. Ein nicht selektives Bevölkerungsscreening könnte zu vielen falsch positiven Ergebnissen und unnötigen invasiven Nachuntersuchungen führen. Ein gezielterer Ansatz, der auf dem individuellen Krebsrisiko basiert, könnte die Kostenwirksamkeit von Screening-Programmen erhöhen.
 
Hier kommen die digitalen Gesundheitsdaten ins Spiel. Da immer mehr medizinische Informationen digitalisiert werden, sammeln sich ganze Gesundheitsgeschichten in nationalen Datenbanken an. Forscher werten nun diese riesigen Mengen an Routinedaten aus, um Krankheitsmuster besser zu verstehen und Prognosemodelle zu entwickeln. In einer kürzlich durchgeführten groß angelegten Studie haben Forscher aus Dänemark und Deutschland diesen Ansatz für die Vorhersage des Krebsrisikos gewählt. Sie erstellten Modelle auf der Grundlage nationaler Registerdaten von über 6,7 Millionen Dänen und deren jahrzehntelanger Krankengeschichte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass digitale Gesundheitsdatensätze vielversprechend für eine personalisierte Krebsvorsorge auf der Grundlage individueller Risikoprofile sind.
 
Daten Leistung
 
Die Forscher nutzten fünf dänische Gesundheitsdatenbanken mit Informationen über Krankenhausbesuche, Diagnosen, Todesfälle, Krebserkrankungen und Freitextdaten aus der Sekundärversorgung. Zusammengenommen umfassten diese 60 Millionen Krankenhausbesuche, 90 Millionen Diagnosen und 193 Millionen Lebensjahre der dänischen Bevölkerung von 1978 bis 2018.
 
Aus dieser Fülle an realen Daten destillierte das Team über 1.300 Variablen für jeden Einzelnen, darunter Diagnosen, Krebserkrankungen in der Familie und in Textform erfasste Daten zu Lebensstilfaktoren. Mit Hilfe statistischer Modellierungstechniken wurde dann ermittelt, wie diese verschiedenen gesundheitlichen und persönlichen Faktoren zusammenwirken und sich auf das Risiko für 20 wichtige Krebsarten auswirken. Entscheidend ist, dass die Modelle anhand von Registerdaten trainiert wurden, die bis 2014 erhoben wurden, und anhand der Krebsinzidenz in den Folgejahren validiert wurden, was eine prospektive Vorhersage ermöglicht.
 
Die Ergebnisse zeigen, dass diese digitalen Gesundheitsdatenbanken eine Fülle von Erkenntnissen über Krebsrisiken liefern können. Die Vorhersagemodelle erzielten eine gute Unterscheidungsfähigkeit, d. h. sie waren im Allgemeinen genau in der Lage, zwischen Personen zu unterscheiden, die an Krebs erkrankt sind, und solchen, die es nicht sind. Die Leistung war vergleichbar mit bestehenden Modellen, die für einzelne Krebsarten entwickelt wurden. Die Risiken wurden nicht nur mit der Familienanamnese und bekannten Risikofaktoren in Verbindung gebracht, sondern auch mit den Mustern früherer Diagnosen, was Zusammenhänge zwischen Krankheiten aufzeigt.
 
Übertragung von Risiken 
 
Die Validierung von Krebsvorhersagen über verschiedene Gesundheitssysteme und Bevölkerungsgruppen hinweg ist ein wichtiger Test. Um zu prüfen, ob die dänischen Risikoprofile international übertragbar sind, bewerteten die Forscher ihre Modelle anhand von Gen- und Gesundheitsdaten aus der britischen Biobank, die über 377 000 Personen umfasst.
 
Bemerkenswert ist, dass die Krebsrisikovorhersagen trotz der Unterschiede in der Gesundheitsversorgung und den Bevölkerungsmerkmalen zwischen den beiden Ländern gut verallgemeinert werden konnten. Die Trennschärfe blieb hoch, und die Kalibrierung - d. h. die Übereinstimmung der vorhergesagten Risiken mit den tatsächlichen Raten - war nach Kontrolle der demografischen Veränderungen ähnlich. Dies deutet darauf hin, dass digitale Gesundheitsdaten übertragbare Risikoinformationen enthalten, die über ein einzelnes System hinausgehen. Bei entsprechender Validierung könnten Modelle, die auf der Grundlage einer Population erstellt wurden, potenziell auch in anderen Bereichen eingesetzt werden.
 
Ein entscheidender Vorteil ist, dass die landesweiten elektronischen Datensätze eine Quantifizierung der Krebsrisiken auf Bevölkerungsebene ermöglichten, ohne sich auf Selbstauskünfte oder selektiv erhobene Informationen zu stützen. Die ermittelten Haupteinflussfaktoren - wie Alkoholkonsum, Fortpflanzungsgeschichte, Größe und Gewicht - decken sich gut mit dem vorhandenen Wissen über Krebsrisiken. Da dieser Ansatz datengestützt ist, zeigt er auch unerwartete Zusammenhänge auf, die es wert sind, weiterverfolgt zu werden, wie etwa die Rolle immunologischer Erkrankungen.
 
Verbessertes Screening
 
Diese digitalen Risikovorhersagemodelle müssen zwar noch weiter validiert werden, könnten aber letztendlich gezielte Krebsvorsorgekonzepte unterstützen. Wenn Bluttests für mehrere Krebsarten von der Forschung in die Praxis übergehen, könnte eine selektive Anwendung auf der Grundlage persönlicher Risikoprofile ihren Nutzen maximieren. Personen mit hohem Risiko könnten häufiger oder in jüngerem Alter untersucht werden, während Gruppen mit niedrigem Risiko möglicherweise weniger häufig getestet werden müssen, um Kosten und Patientenbelastung auszugleichen.
 
Die Modelle könnten auch die bestehenden Vorsorgeprogramme ergänzen. Bei Krebsarten mit etabliertem Screening wie Brust- und Dickdarmkrebs könnten die Risikoscores dabei helfen, herauszufinden, welche Personen am meisten davon profitieren würden, früher mit dem Screening zu beginnen oder sich häufiger testen zu lassen. Und bei Krebsarten, die derzeit nicht abgedeckt sind, wie Bauchspeicheldrüse oder Eierstöcke, könnten diese Modelle schließlich dabei helfen, Prioritäten zu setzen, wem neue Screening-Methoden zunächst angeboten werden sollen.
 
Natürlich ist ein solches "Präzisionsscreening" mit Herausforderungen verbunden, die es zu bewältigen gilt. Es wird wichtig sein, einen gleichberechtigten Zugang für alle Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten, da nicht alle Gruppen in den routinemäßigen Gesundheitsdaten gleich stark vertreten sind. Und Risikovorhersagen sind keine endgültigen Diagnosen - falsch-positive Ergebnisse müssen immer noch sorgfältig behandelt werden. Mit kontinuierlichen Modellverbesserungen im Laufe der Zeit erweisen sich elektronische Gesundheitsdatensätze als vielversprechende, nicht-invasive Quelle für Risikoinformationen aus der "realen Welt", die genetische und Lebensstilinformationen ergänzen. Im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitswesens könnten Big-Data-Ansätze die Krebsvorsorge in einer Weise personalisieren, die bisher nicht möglich war.
 

Hinweis(e)

  1. Alexander W Jung, Peter C Holm, Kumar Gaurav, Jessica Xin Hjaltelin, Davide Placido, Laust Hvas Mortensen, Ewan Birney, S⊘ren Brunak, Moritz Gerstung. Multi-Krebs-Risikostratifizierung basierend auf nationalen Gesundheitsdaten: eine retrospektive Modellierungs- und Validierungsstudie. The Lancet Digital Health, 2024; 6 (6): e396 DOI: 10.1016/S2589-7500(24)00062-1
  2.  

 

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Über den Autor

  • Dilruwan Herath

    Dilruwan Herath ist ein britischer Arzt für Infektionskrankheiten und eine medizinische Führungskraft in der Pharmaindustrie mit über 25 Jahren Erfahrung. Als Arzt spezialisierte er sich auf Infektionskrankheiten und Immunologie, wobei er einen entschiedenen Fokus auf die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit entwickelte. Im Laufe seiner Karriere hatte Dr. Herath mehrere leitende medizinische Funktionen in großen, weltweit tätigen Pharmaunternehmen inne, wo er transformative klinische Veränderungen leitete und den Zugang zu innovativen Medikamenten sicherstellte. Derzeit ist er als Sachverständiger für die Fakultät für Pharmazeutische Medizin im Ausschuss für Infektionskrankheiten tätig und berät weiterhin Biowissenschaftsunternehmen. Wenn er nicht als Arzt praktiziert, malt Dr. Herath gerne Landschaften, treibt Motorsport, programmiert Computer und verbringt Zeit mit seiner jungen Familie. Sein Interesse an Wissenschaft und Technologie ist ungebrochen. Er ist EIC und Gründer von DarkDrug.

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