Genmanipulation gibt Hoffnung bei vererbter Blindheit

Mai, 2024

Erbliche Netzhautdegenerationen sind eine Gruppe von genetisch bedingten Augenkrankheiten, die zu einem fortschreitenden Sehverlust und schließlich zur Erblindung führen. Sie werden durch Mutationen in verschiedenen Genen verursacht, die für die Funktion und das Überleben der Netzhaut wichtig sind, und sind weltweit eine der häufigsten Ursachen für Erblindung, die oft schon in der Kindheit oder im jungen Erwachsenenalter auftritt. Eine der häufigsten Formen wird durch Mutationen im CEP290-Gen verursacht, die schätzungsweise bis zu 77 % der Fälle in den Vereinigten Staaten ausmachen. Diese als CEP290-assoziierte Netzhautdegeneration oder Lebersche kongenitale Amaurose bekannte Erkrankung führt bereits in jungen Jahren zu einer schweren Sehbehinderung. Da es derzeit keine zugelassenen Behandlungen gibt, sind die Betroffenen auf Sehhilfen und Rehabilitationsstrategien angewiesen, um ihre verbleibende Sehkraft zu maximieren.

Nun liefert eine kleine Sicherheitsstudie zu einem vielversprechenden neuen Gentherapieansatz erste Hinweise darauf, dass die direkte Korrektur des defekten Gens bei Menschen mit CEP290-assoziierter Netzhautdegeneration einen gewissen Sehverlust wiederherstellen kann. Die im New England Journal of Medicine veröffentlichte klinische Studie der Phase 1/2 untersuchte EDIT-101, eine Behandlung, die das leistungsstarke Genom-Editing-System CRISPR-Cas9 zur präzisen Korrektur der zugrunde liegenden Genmutation einsetzt. Der Gen-Editing-Komplex wird durch eine Injektion unter die Netzhaut verabreicht und entfernt gezielt eine bestimmte schädliche DNA-Variation, die in der Mehrzahl der Fälle weltweit auftritt. Im Laufe einer mehr als einjährigen Nachbeobachtungszeit erwies sich die Behandlung als sicher und führte bei vielen Studienteilnehmern zu Verbesserungen bei verschiedenen Messwerten des Sehvermögens. Auch wenn die Ergebnisse angesichts der geringen Zahl der beteiligten Personen noch vorläufig sind, liefern sie doch den Beweis dafür, dass die direkte Umschreibung von DNA-Mutationen eine neue therapeutische Strategie für bestimmte vererbte Netzhauterkrankungen darstellen könnte.

Der Kern der CEP290-assoziierten Netzhautdegeneration ist eine einzige genetische Mutation - eine DNA-Variation, die als c.2991+1655A→G-Veränderung bekannt ist und im 26. Intron des Gens auftritt. Diese intronische Mutation führt zur Produktion eines abnormen CEP290-Proteins, das die Struktur und Funktion der lichtempfindlichen Photorezeptorzellen in der Netzhaut stört. Photorezeptoren, die für das Sehen von zentraler Bedeutung sind, enthalten dünne Fortsätze, so genannte sensorische Zilien, die von der ordnungsgemäßen Funktion von CEP290 abhängig sind. Das defekte Protein führt zu einer Desorganisation der äußeren Segmente der Stäbchen und Zapfen und zu deren vorzeitigem Absterben, wodurch das Sehvermögen nach und nach verloren geht. Doch selbst wenn die Sehkraft nachlässt, bleiben die zugrunde liegenden Netzhautneuronen und die Nervenverbindungen zum Gehirn oft intakt. Diese Diskrepanz zwischen funktioneller Beeinträchtigung und erhaltener Grundstruktur bietet eine therapeutische Chance, wenn die verbleibenden Photorezeptoren gezielt behandelt werden können.

Hier kommt EDIT-101 ins Spiel, das die CRISPR-Cas9-Plattform zur Genbearbeitung nutzt. CRISPR steht für "clustered regularly interspaced short palindromic repeats" und beschreibt das bakterielle Immunsystem, das den Anstoß zu seiner Einführung für präzise DNA-Veränderungen gab. Cas9 ist ein Enzym, das das Genom an bestimmten, von kurzen RNA-Leitmolekülen gesteuerten Stellen schneidet oder "bearbeitet". Bei EDIT-101 wird die Nutzlast für die Genbearbeitung über einen injizierten Virusvektor mit hohem Tropismus für die Netzhaut in die Photorezeptoren eingebracht. Er enthält DNA-Anweisungen für Cas9 sowie zwei Leit-RNAs, die so programmiert sind, dass sie die CEP290-Mutationsstelle ansteuern. Durch die dauerhafte Entfernung der intronischen Variation soll die Therapie die normale CEP290-Proteinproduktion und -funktion wiederherstellen.

In der klinischen Phase 1/2-Studie mit dem Namen BRILLIANCE verabreichten die Forscher 14 Teilnehmern im Alter von 3 bis 63 Jahren mit der CEP290-Mutation EDIT-101 durch subretinale Injektion in ein Auge. Bei den Erwachsenen wurden drei aufsteigende Dosisstufen untersucht, während die Kinder eine mittlere Dosis erhielten. Die offene Studie, die an fünf Studienzentren durchgeführt wurde, untersuchte in erster Linie die Sicherheit über einen Nachbeobachtungszeitraum von 12 bis 24 Monaten und überwachte außerdem verschiedene Messgrößen des Sehvermögens. Erfreulicherweise wurden bei der Verabreichung der Gen-Editierungstherapie keine ernsthaften Nebenwirkungen festgestellt. Die meisten unerwünschten Ereignisse waren von geringem Schweregrad und betrafen die erwarteten vorübergehenden Entzündungen, die im Allgemeinen innerhalb weniger Wochen abklangen. Bei zwei erwachsenen Studienteilnehmern kam es nach etwa 6 Monaten zu subretinalen Ablagerungen und vorübergehender Sehbehinderung, aber die Bildgebung zeigte, dass die Netzhautstruktur ansonsten erhalten blieb und sich das Sehvermögen mit der Behandlung verbesserte.

Was die Wirksamkeit betrifft, so wurden Verbesserungen bei verschiedenen Messwerten für das Sehvermögen festgestellt. Vielversprechend ist, dass bei sechs Teilnehmern (43 %) eine klinisch bedeutsame Verbesserung der Empfindlichkeit der Netzhaut gegenüber rotem Licht festgestellt wurde, die durch einen Ganzfeld-Lichttest am behandelten Auge gemessen wurde. Dies deutet auf eine verbesserte Funktion der lichtsensitiven Zapfenphotorezeptoren hin, auf die die Therapie abzielt. Bei vier Personen (29 %) verbesserte sich auch die Sehschärfe erheblich. Bei sechs Teilnehmern (43 %) wurden auch Verbesserungen bei Mobilitätstests, bei denen es darum ging, sich bei schlechten Lichtverhältnissen zurechtzufinden, und bei Fragebögen zur Lebensqualität in Bezug auf das Sehvermögen festgestellt. Die Veränderungen traten in der Regel nach 3 Monaten ein und hielten bei einigen Teilnehmern über einen längeren Zeitraum an. Die Analyse ergab ferner, dass das Ausmaß des Nutzens mit dem Grad der vorbestehenden funktionellen Beeinträchtigung im Vergleich zur Netzhautstruktur korrelierte - bei Teilnehmern mit größeren Fehlanpassungen waren die Reaktionen stärker.

Erfreulicherweise zeigten sich in zwei pädiatrischen Fällen Verbesserungen bei mehreren Sehkraftmetriken. Studien mit Kindern sind besonders bedeutsam, da ein frühzeitiges Eingreifen ein größeres Potenzial hat, die Entwicklung zu beeinflussen und die verbleibenden neuronalen Verbindungen in den Sehbahnen zu erhalten. Die Ergebnisse der neun männlichen und fünf weiblichen Teilnehmer unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher ethnischer Herkunft liefern erste Hinweise darauf, dass die Therapie einer genetisch und klinisch vielfältigen Patientenpopulation zugute kommen kann. Die von der Behandlung stammende virale DNA wurde innerhalb weniger Monate sicher aus den verschiedenen Geweben entfernt, ohne dass Immunreaktionen gegen das Cas9-Protein nachweisbar waren.

Auch wenn die Stichprobengröße gering ist, Scheinvergleiche nur eingeschränkt möglich sind und eine längere Nachbeobachtung erforderlich ist, stellt die Studie einen wichtigen Konzeptnachweis dar, dass die direkte Umschreibung krankheitsverursachender DNA-Mutationen beim Menschen möglich und gut verträglich ist. Sie zeigt, dass die Wiederherstellung der normalen CEP290-Funktion durch In-vivo-Gen-Editierung die Leistung der retinalen Photorezeptoren bei Menschen mit diesem Mangel verbessern kann. Die Ergebnisse wurden ohne nachweisbare Sicherheitsprobleme erzielt, was die weitere Entwicklung von Gentherapien für Netzhautdegenerationen unterstützt. In Zukunft sollen mehr Patienten in die Studie aufgenommen werden, um aussagekräftigere Daten über Wirksamkeit und Dauerhaftigkeit zu erhalten. Die Kombination von Gene Editing mit anderen ergänzenden Technologien könnte die Ergebnisse weiter verbessern. Wenn der Ansatz in größeren Studien verifiziert wird, könnte er letztlich nicht nur bei CEP290-Mutationen helfen, sondern möglicherweise auch bei vielen anderen erblichen Netzhauterkrankungen. Diese Arbeit lässt hoffen, dass Gene-Editing-Strategien eines Tages ein neues Standbein für die Behandlung von Erblindungskrankheiten sein könnten, die tief in unserem Genom verwurzelt sind.

Hinweis(e)

  1. DOI: 10.1056/NEJMoa2309915

 

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Über den Autor

  • Dilruwan Herath

    Dilruwan Herath ist ein britischer Arzt für Infektionskrankheiten und eine medizinische Führungskraft in der Pharmaindustrie mit über 25 Jahren Erfahrung. Als Arzt spezialisierte er sich auf Infektionskrankheiten und Immunologie, wobei er einen entschiedenen Fokus auf die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit entwickelte. Im Laufe seiner Karriere hatte Dr. Herath mehrere leitende medizinische Funktionen in großen, weltweit tätigen Pharmaunternehmen inne, wo er transformative klinische Veränderungen leitete und den Zugang zu innovativen Medikamenten sicherstellte. Derzeit ist er als Sachverständiger für die Fakultät für Pharmazeutische Medizin im Ausschuss für Infektionskrankheiten tätig und berät weiterhin Biowissenschaftsunternehmen. Wenn er nicht als Arzt praktiziert, malt Dr. Herath gerne Landschaften, treibt Motorsport, programmiert Computer und verbringt Zeit mit seiner jungen Familie. Sein Interesse an Wissenschaft und Technologie ist ungebrochen. Er ist EIC und Gründer von DarkDrug.

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